
Zurück in die Zukunft
Die Bielefelder Sennestadt ist eine Wohnsiedlung aus den 1950er-Jahren. Jetzt werden für sie tragfähige Perspektiven für das 21. Jahrhundert gesucht. Mit ihren Fassaden zeigt die Siedlung ihr Gesicht, ihr Gemeinschaftsgefühl und ihre Geschichte. Ein eigens entwickeltes Fassadenfarbenkonzept, das die Spur der Vergangenheit aufnimmt, ist dabei ein Baustein auf dem Weg zu sichtbarer und lebendiger Identität. Das komplette Konzept finden Sie hier: www.sennestadt-farben.de.
Schlüssige Stadtlandschaft
Die Sennestadtplanung als Stadtlandschaft ist in sich schlüssig, alle Einzelbereiche sind aufeinander und auf das Ganze bezogen. Als wichtiges Element der Stadtgestaltung gehört dazu die Farbigkeit der Wohnblocks und Hauszeilen. Farbe wird nicht als blasses Dekor gesehen, sondern ist notwendiger Bestandteil des organischen Städtebaus. Prof. Reichow spricht im Zusammenhang mit Farben die „Heiterkeit der Straßen und Platzräume, der Wohnlichkeit über den Zeitgeschmack hinaus“ an und weist „auf vielgestaltige Bindungen, Steigerungen und Bekrönungen“ hin.
Stadt für Flüchtlinge

Der Stellenwert des Farbkonzeptes ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Sennestadt. Zur Linderung der Wohnungsnot nach dem 2. Weltkrieg und als eine Heimat für viele Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten wurde Anfang der 50er Jahre die Sennestadt geplant und wenig später begonnen. Sie war konzipiert als selbständige Stadt mit umfassender Infrastruktur und stellte ein Novum dar gegenüber den Stadterweiterungen, die von den Bauämtern der Städte organisiert und durchgeführt wurden, meist mit ausgesuchten Architekten.
Farbe schafft Zusammenhänge

Kennzeichen der Sennestadt ist dagegen, dass von Baubeginn an, aus vielen Orten der BRD kommend, eine Vielzahl von Baugesellschaften mit ihren Entwerfern und private Bauherren mit ihren Architekten ihre Bauten hier errichteten. Aufgabe der technischen und künstlerischen Oberbauleitung war es, alle diese unterschiedlichen Entwurfshandschriften zu koordinieren und Bauherren und Architekten zur Teamarbeit zu gewinnen. Das konnte nicht öffentlich-rechtlich geschehen, sondern wurde privatrechtlich mit den Grundstücksverträgen erreicht, Verträge, die noch heute ihre Gültigkeit haben.
Die darin enthaltenen, zur Verwirklichung des städtebaulichen Konzeptes notwendigen Richtlinien, die für alle Beteiligten bindend waren, beschränken sich in den gestalterischen Vorgaben auf ein Mindestmaß. Die künstlerischen Vorstellungen und die finanziellen Möglichkeiten von Bauherren und Architekten sollten nicht mehr als unbedingt notwendig eingeschränkt werden, aber mit dem Ziel der Einordnung in das Konzept der Stadtlandschaft und die städtische Gemeinschaft.
Heiterkeit der Straßen
Das Farbkonzept hatte und hat dabei eine wichtige Funktion. Es ermöglicht die unterschiedliche Handschriften zu verwischen, setzt Akzente, schafft Spannungen, lässt Steigerungen oder auch Abschwächungen zu. Außerdem kann die auch aufgrund der damaligen Förderrichtlinien des Landes schlichte Architektur besonders der Geschossbauten durch Farbe aufgewertet werden und so die „Heiterkeit der Straßen und Platzräume und die Wohnlichkeit" (Reichow) schaffen. Dazu kommt, dass auch der durch die Reihung der Zeilenbauten möglichen Empfindung einer gewissen Monotonie begegnet wird. Und nicht zuletzt harmoniert eine auf bestimmte Farbwerte abgestimmte Farbskala mit dem beherrschenden Grün der Stadtlandschaft.
Weiße Fensterfaschen

Die aufeinander abgestimmten Farben der Gebäude unterstützen das planerische Leitbild durch Herausarbeitung städtebaulicher Zusammenhänge. Farbe fasst zusammen, ohne unterschiedliche Handschriften zu verwischen, setzt Akzente, schafft Spannungen, lässt Steigerung oder auch Abschwächungen zu.
Die eher bescheidene Architektur des sozialen Wohnungsbaus der 50/60er Jahre wird aufgewertet und trotz unterschiedlicher Handschriften der vielen in der Sennestadt tätigen Baugesellschaften und Architekten eine visuelle Geschlossenheit und Einheitlichkeit des Ortsbildes erreicht. Gesteigert wird die Leuchtkraft der Farben durch das Weiß der Fensterlaibungen und –faschen und der Loggien- und Balkonbrüstungen.
Bildquelle: Sennestadt in den 60er Jahren, Archiv des Sennestadtvereins e.V.